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Oliver Reiser

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Streit um den Nobelpreis für Chemie 2002

Oliver Reiser

Die Nobelpreisverleihung 2002 in Chemie war aus deutscher Sicht eine Enttäuschung und rief weltweit Empörung hervor. Hat das Nobelpreiskomitee richtig entschieden?

So sehr die Verleihung des letztjährigen Nobelpreises in Chemie für die Entwicklung von Methoden zur Analyse von Proteinen allseits begrüßt wird, so heftig ist auch die Diskussion, ob die richtigen Personen vom Preiskomitee ausgezeichnet wurden.

Aus deutscher Sicht war die Übergehung von Franz Hillenkamp, Professor an der Universität Münster, und Michael Karas, damaliger Assistent Hillenkamps und heute Professor an der Universität Frankfurt, besonders schmerzlich.

Nun gibt es fast jedes Jahr kontroverse Meinungen, sei es über das Gebiet innerhalb eines Faches, das geehrt wurde, oder über die Personen, die auf dem gewählten Gebiet die nobelpreiswürdige Rolle gespielt haben. Die diesjährige Protestwelle war jedoch ungewöhnlich heftig und ließ wieder einmal die Frage aufkommen, ob die Vergabestatuten nicht überdacht werden sollten.

Die Nobelpreisarithmetik

Die Analyse großer Biomoleküle wurde durch zwei grundlegende Methoden in den letzten 20 Jahren entscheidend vorangebracht: durch die Kernresonanz- oder auch NMR-Spektroskopie und durch die Massenspektroskopie. Für jede Methode wurde eine Hälfte des Nobelpreises vergeben.

Der Durchbruch der Massenspektrometrie für die Analyse von großen Biomolekülen, etwa Proteinen, kam durch die Entwicklung von Techniken, solche Moleküle, die man am besten mit schweren Steinen vergleichen kann, in die Gasphase zu bringen: Im wahrsten Sinne des Wortes musste man den Proteinen das Fliegen beibringen. Zwei Techniken, nämlich die so genannte Elektronensprayionisation und die so genannten Laserdesorptionsmethoden, bewährten sich als Fluglehrer, so dass die Hälfte des Nobelpreises noch einmal zweigeteilt wurde. War die Verleihung für die Elektronensprayionisation an John Fenn eindeutig, so konnten zu Recht zwei Gruppen Anspruch auf die wegweisenden Arbeiten zur Entwicklung der Laserdesorptionsmethoden anmelden. Da aber maximal nur drei Wissenschaftler in einem Fach mit dem Nobelpreis ausgezeichnet werden können, war eine erste Problematik schon vorgegeben.
 

Sportflugzeug oder Jumbojet?

Mitte der Achtziger Jahre, die erste Veröffentlichung stammte von 1985, beschrieben Hillenkamp und Karas in einer Reihe von Arbeiten die Entwicklung einer neuen Methode in der Massenspektrometrie, der so genannten Matrix-assistierten Laser-Desorption-Ionisation, kurz MALDI genannt. Um in dem Bild der Flugzeuge zu bleiben: in diesen Veröffentlichungen wurde ein Jumbojet erbaut und damit mit nicht gekanntem Komfort über Europa geflogen, doch dies schafften - wenn auch mehr schlecht als recht - zu dem damaligen Zeitpunkt auch schon andere Flugmaschinen.

1988 berichtete dann Koichi Kanaka von der Soft-Laser-Desorption (SLD), einer Methode, die sich von der von Hillenkamp entwickelten Methode im Wesentlichen in der verwendeten Matrix unterschied. Es handelte sich aber eher um ein Sportflugzeug, doch Kanaka gelang damit die Atlantiküberquerung, nämlich die Analyse von Proteinen in bislang unerreicht hohen Massenbreichen. Wenige Monate später flog dann auch Hillenkamps Jumbo über den Atlantik, und es wurde deutlich, dass man auf diese Weise zuverlässiger, schneller und komfortabler ans Ziel kommt. Die Methode von Hillenkamp setzte sich daraufhin weltweit durch. Ihnen fällt die Wahl sicher nicht schwer, sich zwischen dem Jumbo und dem Sportflugzeug bei einer Reise in die USA zu entscheiden, aber für welches Flugzeug hätten Sie den Nobelpreis vergeben?


> > > WEITER zum zweiten Teil: Die Vergabestatuten für den Nobelpreis
 

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